Bei der Klägerin handelt es sich um ein Elternteil eines in Deutschland lebenden minderjährigen Kindes.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Versagung eines Besuchsvisums durch die Deutsche Botschaft in Peru aufgehoben und die Botschaft verpflichtet der Klägerin das beantrage Visum zu erteilen (Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 22.4.2010- VG 4 K 132.09)
Die Deutsche Botschaft hat im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung angenommen, dass die Rückkehrbereitschaft der Klägerin fehle.
Das Verwaltungsgericht kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass für es für eine fehlende Rückkehrbereitschaft zwar allgemeine Hinweise gebe.
Diese reichen im Ergebnis aber nicht aus, um das von der Klägerin geltend gemacht Recht aus Art. 6 Absatz 1 und 2 GG zu verdrängen.
Das bedeutet für anhängige Visumsverfahren, dass vom Antragsteller geprüft werden soll,ob ihm Rechte, zum Beispiel aus den Grundrechten, zustehen. Dies muss dann bereits im Visumsverfahren gegenüber der Deutschen Botschaft mit Hinweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, vorgetragen werden.
Die Entscheidung im Wortlaut lautet wie folgt:
Verwaltungsgericht Berlin
Urteil vom 22.4.2010 – VG 4 K 132.09
Aus den Gründen:
»Die Klage ist begründet, weil die Versagung des Vi¬sums rechtswidrig ist und die Klägerin in ihrem Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 AufenthG stellt die Erteilung eines Schengen-Visums (g 2 Abs. 5 AufenthG) für Auf¬enthalte von bis zu drei Monaten innerhalb einer Frist von sechs Monaten von dem Tag der ersten Einreise an in das Ermessen der Beklagten, wenn die Ertei¬lungsvoraussetzungen des Schengener Durchführungs¬abkommens und der dazu ergangenen Ausführungs¬vorschriften erfüllt sind. Nach Art. 10 Abs. 1 des Ubereinkommens zur Durchführung des Uberein¬kommens von Schengen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.6.1990 gibt es einen einheitlichen Sichtver¬merk, der für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten erteilt werden kann. Art. 15 dieses Ubereinkommens bestimmt, dass Sichtvermerke nach Art.10 grundsätz¬lich nur einem Drittausländer erteilt werden dürfen, der die in Art. 5 Abs. 1 Buchstabe a, c, d und e aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllt. Diese Norm ist durch Art.39 Abs. 1 des Schengener Grenzkodexes (Verord¬nung EG Nr.562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen) aufgeho¬ben. Nach Art. 39 Abs. 3 des Schengener Grenzkodexes gelten Bezugnahmen auf die gestrichenen Artikel als Bezugnahmen auf diese Verordnung. Sie regelt in Art. 5 Abs. 1 Buchstaben a, c, d und e verschiedene Einreise¬voraussetzungen. Diese sind hier erfüllt.
Art.5 Abs. 1 Buchstabe a) verlangt den Besitz eines gültigen Reisedokuments, das den Ausländer zum Überschreiten der Grenze berechtigt. Der bis in das Jahr 2012 gültige Pass der Klägerin ist dafür geeignet.
Nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c) muss der Ausländer den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Auf¬enthalts belegen, was hier mit den glaubhaften Angaben zum Besuch des Sohnes geschehen ist.
Nach dieser Norm muss er weiter über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben. Der Vater des Sohnes hat in der mündlichen Verhandlung eine Erklärung des Inhalts abgegeben, dass er nun mit einem anderen als Betreiber der Pizzeria, in der er früher arbeitete, erwerbstätig ist. Gericht und Beklagte haben in der mündlichen Verhandlung keinen Ansatz für einen erwähnenswerten Zweifel gesehen, dass dies zutrifft und diese Erwerbstätigkeit dem Mann ausreichende Mittel verschafft, um auch den Unterhalt der Klägerin während ihres Besuches zu sichern. Wollte man darüber noch eine Verpflichtungserklärung für notwendig hal¬ten, läge diese vor, da die Gültigkeit der einst festgehal¬tenen noch nicht abgelaufen ist, sondern bis zur Been¬digung des Aufenthalts gilt und der Vater des Sohnes in der mündlichen Verhandlung ihre Verbindlichkeit für ihn bestätigt hat. Bei dieser Sachlage ist das Fehlen einer aktuellen Krankenversicherung unerheblich, da mit Abschluss eines entsprechenden Vertrags zu rechnen ist. Man kann nicht erwarten, dass jemand während eines Klageverfahrens stets neue Verträge abschließt.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte ver¬neint, dass die Klägerin im SIS zur Einreiseverweige¬rung ausgeschrieben ist (Art. 5 Abs. 1 Buchstabe d). Art. 5 Abs. 1 Buchstabe e) verlangt, dass der Ausländer keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die interna¬tionalen Beziehungen eines Mitgliedsstaats darstellen darf und er nicht aus denselben Gründen zur Einreise¬verweigerung ausgeschrieben sein darf. Hier ist allen¬falls über eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zu sprechen und dies nur in der Form, ob es der Klägerin an der Rückkehrbereitschaft fehlt und sie beabsichtigt, das Visum zu einem anderen Zweck als dem angegebe¬nen Aufenthaltszweck zu nutzen (was allerdings auch ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c sein dürfte). Solches steht nicht fest. Rückkehrbereitschaft und die Absicht zur zweckwidrigen Nutzung des Visums sind innere Tatsachen, die einer unmittelbaren Anschauung nicht zugänglich sind. Auf sie kann nur von Indiztat¬sachen aus rückgeschlossen werden. Tatsachen, die die¬sen Rückschluss erzwingen oder auch nur in einer Weise nahelegen, dass jede andere Wertung lebens¬fremd, unwahrscheinlich oder abwegig erscheinen muss, gibt es hier nicht.
Mit dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 18.12.2009, – OVG 3 B 6.09 -, Seite 13; Beschluss vom 12.4.2010 – OVG 11 N 70.08 -) mag man diese Erteilungsvoraussetzung auch dann noch nicht erfüllt ansehen, wenn die Wahrscheinlichkeit eines beabsichtigten dauerhaften Verbleibs des Auslän¬ders im Bundesgebiet wesentlich höher einzuschätzen ist, als die Wahrscheinlichkeit seiner Rückkehr. Zu einer solchen (negativen) Einschätzung sieht sich das Gericht nicht in der Lage. Es mag für Rückkehr und Verbleib jeweils Gründe geben, die sowohl das Eine als auch das Andere als möglich oder gar wahrscheinlich wirken lassen. Dass aber der langjährige Freund, der 15-jährige Sohn und die hiesigen Lebensumstände für die Klägerin eine solche Bedeutung haben, dass für sie der Verbleib hier wesentlich attraktiver wäre als ihre Rückkehr in ihr Heimatland mit den dem Gericht im Einzelnen nicht bekannten Gegebenheiten, kann das Gericht nicht er¬kennen.
Nicht zu vertiefen ist, ob das Ermessen nach 5 6 Abs. 1 Satz 1 AufenthG schon dann eröffnet ist, wenn nur die Erteilungsvoraussetzungen des Schengener Durchfüh¬r ungsabkommens und der dazu ergangenen Ausfüh¬rungsvorschriften erfüllt sind oder ob darüber hinaus
noch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des 55 Abs. 1 AufenthG erfüllt sein müssen. Denn auch für diesen wohl zu bejahenden Fall ergibt sich hier keine weitere Hürde vor dem Ermessen, worüber in der mündlichen Verhandlung Einigkeit bestanden hat.
2. Die Versagung des Visums ist ermessensfehlerhaft (5 114 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten. Zwar bedeutet Ermessen, dass es der Behörde überlassen ist, sich nach einer Abwägung der in die Ermessensentscheidung ein¬zustellenden Umstände für eine Rechtsfolge zu ent¬scheiden, was voraussetzt, dass die Behörde eine gewis¬se Freiheit in der Gewichtung der abzuwägenden Umstände hat. Die Grenzen des Ermessens sind aber überschritten, wenn die Behörde den Sachverhalt un¬vollständig ausschöpft und ihre Wertung mit höher¬rangigem Recht kollidiert. So liegt es hier. Es ist im Ansatz anerkannt, dass Rückkehrzweifel, also Zweifel daran, dass der Ausländer nach Ablauf der Gültigkeit des Besuchsvisums ausreisen: wird, in die Abwägung einzustellen sind (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin¬Brandenburg, Urteil vom 18.12.2009, a.a.O., Sei¬te 13). Indes muss man solche Zweifel fast stets haben. Mangels der nötigen gründlichen Kenntnisse der Men¬schen wird man nur selten sicher sein können, dass jemand hier bleibt oder wieder ausreist. Nur vorder¬gründig plausibel wird zur Gewichtung der Zweifel auf die (von der Beklagten in der Klageerwiderung in An¬führungszeichen gesetzte) Verwurzelung des Men¬schen in seinem Heimatland abgestellt. Sperrt man Menschen nicht ein, können sie sich frei bewegen. Ob sie etwas an ein Land bindet, sie daran festhält, wie es Wurzeln tun, bestimmen die Menschen selbst, wie etwa die DDR immer wieder erleben musste. Daran geht die Beklagte vorbei, indem sie die Verwurzelung eines Menschen ausschließlich wirtschaftlich und kleinfamiliär definiert und der Klägerin sogar eine – nicht beschriebene – soziale Verwurzelung in hinrei¬chendem Maße abspricht. Auch die deutsche Nach¬kriegserfahrung (z. B. Helgoland) zeigt, dass Menschen sich Gebieten allein deshalb verbunden fühlen können und dorthin zurückstreben, weil sie einst dort lebten. Grundbesitz ist kein Grund, auf diesem Besitz auch zu leben. Seit geraumer Zeit hatten und haben Ausländer in Berlin Grundbesitz, ohne hier zu leben. Gerade genügender Besitz gar in Form von Kontoguthaben kann Grund dafür sein, anderen Orts zu leben. Wer an einem Ort im Beruf erfolgreich ist, kann sich oft ausrechnen, es auch im Ausland zu sein. Die Kleinfa¬milie kann dem einen Grund zur Auswanderung sein, sei es aus Uberdruss sei es aus Verantwortungsbewusst¬sein (weil er sich um ihre Versorgung bemühen will) heraus. Einen anderen hält sie im Land. Nichts deutet darauf, dass die hier gegebenen zweideutigen Umstän¬de (kein fester Beruf, Großfamilie im Land, geringes Grundeigentum) Zeichen für mangelnde Bindung der Klägerin an ihr Heimatland sind und es für sie (anders als bei Menschen üblich) keine anderweitigen Bindun¬gen an das Land gibt, dessen Sprache sie spricht, in dem
sie geboren und aufgewachsen ist, so dass ihr das Leben in der Fremde verlockender scheinen muss.
Damit sollen die stets denkbaren Zweifel an der Rück¬kehrbereitschaft eines Menschen nicht geleugnet wer¬den. Ermessensfehlerhaft ist es jedoch, dass die Beklagte die damit gekennzeichneten öffentlichen Interessen hö¬her gewichtet als das durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützte Elternrecht der Klägerin. Das gewährt ihr kein Aufenthaltsrecht, erheischt doch aber in einer Ab¬wägung angemessene Berücksichtigung (vgl. etwa Bun¬desverfassungsgericht, Beschluss vom 9.1.2009 -2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387 = InfAuslR 2009, 250). Eben daran fehlt es. Das Gericht folgt der Klägerin, hält die Erwägungen der Beklagten für verfehlt. Die rege Reisetätigkeit der Menschen zeigt, dass es nach all¬gemeiner Auffassung einen eigenen Wert hat, sich von Menschen und Orten durch Augenschein ein eigenes Bild zu machen. Die Vorstellung der Beklagten vom Umgang mit Menschen verkürzt diese auf sie selbst, übergeht, dass der Mensch durch seine Bezüge zur Um¬welt geprägt sein und oft nur in Kenntnis dieser ver¬standen werden kann. Bezogen auf ein Kind bedeutet das erfahrungsgemäß, dass man nur wenig von seinem Kind erfasst, wenn man es nicht auch in seiner Umwelt sieht. Mit dieser wohl selbstverständlichen Erfahrung unvereinbar ist die Auffassung der Beklagten, es spiele bei einem 15-jährigen keine Rolle, ob man ihn sechs Wochen außerhalb seiner nun üblichen Umgebung oder drei Monate in ihr erlebt. Nun mag das noch anders zu sehen sein, wenn zwischen Kind und Elternteil ohnehin nur geringe Kontakte bestanden haben und nicht zu erwarten ist, dass die Besuche zu einer wesentlichen Intensivierung führen sollen. Hier aber lebte das Kind die ersten 13 Jahre seines Lebens mit der Klägerin und erst seit weniger als drei Jahren mit seinem Vater.
Diese Überlegungen zur Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, der es Eltern weitgehend freistellt, wie sie ihr Kind pflegen und erziehen, und damit nicht nur ein Mindestmaß an Umgang schützt, sondern auch weiter¬gehende Beziehungen, im konkreten Fall werden durch das wiederholt angesprochene Urteil des Oberverwal¬tungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.12.2009 nicht falsifiziert. Zwar meinte das Gericht, die Beklagte habe die Klägerin (Mutter 1998 und 2001 geborener
Kinder) darauf verweisen dürfen, familiäre Kontakte durch Schriftwechsel oder Telefonverkehr sowie durch Besuche der Kinder im Heimatland aufrechtzuerhalten. Doch zeigt der Verweis auf den Beschluss des Bundes¬verwaltungsgerichts vom 21.10. 1996 – BVerwG 1 B 113.96 -, NVwZ-RR 1997, 319 [320] = InfAuslR 1997, 67, dass das nur dann ausreicht, wenn eine hinreichende Besorgnis besteht, der Ausländer wolle ein Besuchs¬visum nutzen, um einen längeren Aufenthalt zu erwir¬ken. In dem vom Oberverwaltungsgericht entschie¬denen Fall war diese Besorgnis gegeben, weil die Rückkehrprognose nur zu ihren Ungunsten ausfallen konnte. Das ist hier nicht der Fall.
In der mündlichen Verhandlung ist erörtert worden, ob hier eine Reduzierung des Ermessens in der Weise ge¬geben ist, dass nur die Erteilung des Visums fehlerfrei ist (Ermessensreduzierung auf Null). Das Gericht bejaht dies. Dem Gericht erscheint es gleichermaßen wahr¬scheinlich, dass die Klägerin bei ihrem Kind und ihrem langjährigen Freund bleibt, der nun bei gesichertem Aufenthalt geschieden und ihr fortwährend verbunden ist, wie dass sie in das Land zurückkehrt, in dem sie wohl ihr Leben lang gelebt hat und in dem ihre Gro߬familie lebt, was nach Darstellung ihrer Bevollmäch¬tigten in der mündlichen Verhandlung von einiger Be¬deutung ist. Dieser Gewichtung hat die Beklagte, die zu einer Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen in der Lage gewesen wäre 3114 Satz 2 VwGO), nicht wider¬sprochen. Sie hat auch sonst keinen Umstand auf¬gezeigt, der bislang keine Rolle gespielt hat und dem sie nun Bedeutung beimessen wollte. Bei dieser Sach¬lage drängt nach Auffassung des Gerichts die Wertung des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG die durchaus bestehenden gegenläufigen Interessen in einer Weise zurück, dass diese nicht mehr zur Versagung führen können. Der Einwand der Beklagten in der mündlichen Verhand¬lung, dass dies dann bei Fällen mit Familienbezug stets zur Visumserteilung führen würde, trifft nicht zu. Die Besonderheit hier ist, dass Mutter und Sohn mehr als 13/16 des Lebens des Sohnes miteinander verbrachten, dass sie noch eine lebendige Beziehung haben und dass der Junge noch minderjährig ist.«
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